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Letter from Tokyo 9 - Die Peitscherin

Von Dr. D. Vice

Die engen Stiegen führen hinunter zur Kasse. Dahinter sitzt ein Mann. Dem fehlen zwei Glieder vom kleinen Finger der linken Hand. Wer bezahlt, darf durch die schwere Stahltür. Wer Zicken macht, bekommt eins in die Fresse. Ich bezahle.

Es ist stockduster. Irgendwo leuchtet eine Funzel mit den japanischen Zeichen für Notausgang. Ich gewöhne mich langsam an die Dunkelheit. Der Raum ist etwa fünf Meter breit und zehn Meter tief. Mehrere Dutzend Köpfe lassen sich schemenhaft ausmachen. Die gehören zu Männern, die in Kinosesseln um die Bühne herum sitzen. Einer schnarcht. Ein anderer schlürft Nudeln aus einem Becher. Jetzt kommt einer durch den Notausgang rein. Er hält eine Bierpulle in der Hand. Ob auch ihm was vom kleinen Finger fehlt, läßt sich auf die Entfernung schwer sagen. Die Stahltür ist längst mit lautem Krachen hinter mir zugeschlagen. Ich taste mich wie ein Blinder an der Wand entlang und trete prompt jemandem auf den Fuß. »Sumimasen« ('tschuldigung) stottere ich, etwas zu laut vielleicht, denn alle schauen plötzlich in meine Richtung. Selbst der Schnarcher ist aufgewacht. »Gajin« (Ausländer) ruft einer halb überrascht, halb abfällig. Bloß cool bleiben.

Zum Glück geht jetzt der Vorhang auf und eine zierliche Matrosin betritt die Bühne. Nein, ein >Schulmädchen< ist es, in artiger Uniform. Ganz lieblich tanzt es zur Musik und zieht sich langsam dabei aus. Nur seine weißen Söckchen wird es noch anbehalten. Ein tätowierter Japaner hat inzwischen eine Matratze auf die Bühne gelegt. Sehr keusch und mit gesenktem Blick steht das zarte Geschöpf nun da. Wohl schämt es sich gehörig, als die Männer zu knobeln anfangen. Das Spiel heißt Papier, Schere, Stein, und gespielt wird jeder gegen jeden. Der Sieger springt nackt auf die Bühne und legt sich auf die Matratze. Die junge Frau geht neben ihm auf die Knie und verbeugt sich tief, so daß ihre Stirn fast den Boden berührt. »Yorushiko« (sei nett zu mir) bittet es mit heller Stimme. Des Mannes lebendigster Teil steht schon längst senkrecht in der Luft, als das Mädchen ihn mit einem feuchten Tüchlein sauber tupft. Prompt bläst es kunstvoll ein Kondom über und setzt sich wie ein kleines Kätzchen drauf. Ein paar grazile Reitbewegungen noch, und schon kommt der Mann wie ein wildes Tier.

Insgesamt sechs Tänzerinnen arbeiten hier. Eine Krankenschwester mit weißem Häubchen ist darunter, genauso wie eine Sekretärin in Reizwäsche und eine Hausfrau mit rosafarbener Schürze und sonst nichts. Künstlerinnen sind sie, die ihr Repertoire selbst zusammenstellen. Die erste Show beginnt um 11 Uhr früh, die letzte endet 11 Uhr abends. Mit 25 Minuten pro Auftritt kommt jede Frau viermal dran. Alle zehn Tage wechselt das Programm und so auch die Mädchen, die landesweit durch ca. 100 solcher Etablissements tingeln. Der Eintritt kostet 80 Mark, und dafür kann man den ganzen Tag bleiben. Essen und Getränke gibt’s vom Automaten.

Nach einer Gesetzesänderung findet der Geschlechtsverkehr nicht mehr direkt vor Nase aller Anwesenden statt, sondern hinter einem leichten Vorhang - und kostet 20 Mark extra.

In den letzten Jahren haben einige Tänzerinnen ihr Repertoire um verschiedene SM-Elemente erweitert, sei es, daß sie sich auf der Bühne selbst fesseln (jibaku), um sich stöhnend zu befreien, oder sei es, daß sie als Mistress (jo-o-sama) auftreten. So auch Yohane Emma, allseits bekannt als >Die Peitscherin<. Yohane Emma ist Tänzerin und Schauspielerin und bereichert die japanische Stripperszene insofern, als daß ihre Auftritte oft in regelrechten Happenings münden.

Mistress Emma bedient sich mit Vorliebe ihrer Nilpferdpeitschen, deren Länge sich nach den Räumlichkeiten richtet. Auf einer großen Bühne wählt sie die 2,40 Meter lange. Für kleinere Auftritte muß die Eins-sechsziger herhalten. Emma kann diese Peitschen nicht nur in der Luft schnalzen lassen, sie weiß sie auch auf den nackten Körpern ihrer Opfer tanzen zu lassen. Dies bedarf schon eines gewissen Maßes an Kraft und Konzentration - von langem Training einmal ganz zu schweigen. Emmas Peitschen sind keine >Effekt<-Peitschen, die auf nackter Haut zwar knallen, aber weder weh tun noch Striemen hinterlassen. Es sind eher Instrumente, die gestandene Nashörner zur Strecke bringen. Wer sich bei Emmas Performances freiwillig auf die Bühne wagt, der weiß, was auf ihn zukommt. So sind es meist Männer, die bereits härteste Abstrafungen gewohnt sind. Fans, die die einschlägigen Zeitschriften lesen, um zu erfahren, wann ihre Mistress in welchem >Nude Theater< auftritt. Und so kommen sie dann aus weiter Ferne in der Hoffnung, für Mistress Yohane Emma ein paar Minuten auf die Bühne zu dürfen, um sich Schmerzen und Peitschenstriemen einzuhandeln, von denen sie noch lange zehren werden. Natürlich kennt Emma ihre Pappenheimer, und nicht selten treibt sie es mit drei oder vier Masochisten gleichzeitig. Manche ihrer Anhänger haben sich Verse auf Brust oder Oberschenkel geschrieben, auf denen sie ihre Demut gegenüber ihrer Herrin kundtun, sehr zur Gaudi der Stinos im Theater, die eigentlich wegen der Stripper und Schulmädchen gekommen sind. Aber recht rasch wird auch der letzte Feixer still und druckst klamm auf seinem Sitz herum, wenn nämlich die roten Striemen auf den Leibern der Männer erbarmungslose Zebramuster bilden. Gar manch ein Besucher macht sich dann klein, in der Hoffnung, daß das Auge der Mistress nicht auf ihn fallen möge, und sie ihn nicht mit hartem und gierigem Blick auf die Bühne befiehlt.

Mitunter kommt es schon vor, daß Emma ihren Sklaven Eispicks durch die Brustwarzen treibt. Natürlich nur solchen, die sie bereits von vorherigen Performances als gelehrige Masochisten kennt. Aber nicht nur Schmerzen werden hier verteilt. Zur Belohnung darf jeder, der mitgemacht hat, den frischen Sekt der Mistress trinken - entweder direkt von der Domina in den Mund oder aus einem Glas. Alsdann wird die Bühne kurz aufgewischt, und nach einem Tusch aus den Lautsprechern tritt wieder ein Schulmädchen auf. Oder eine Sekretärin in Strapsen. Oder eine Hausfrau mit rosa Schürze und sonst nichts.

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