Letter from Tokyo 4 – Department H
Von Matthias T. J. Grimme
Anfang Mai 2001, Tokyo, irgendwo in Shibuja, einem der
fünf großen Zentren des Molochs. Kleine Bars, Restaurants,
Spielhallen, Clubs und Bordelle, getarnt als Massagesalon oder Karaoke-Bar.
Ein Veranstaltungszentrum neben einem kleinen Kaufhaus, im Erdgeschoß
ein Schnellrestaurant. Was hier an anderen Tagen stattfindet, in diesem
alten Kino oder Theater, ist eher Dancefloor und normales Party-Ereignis.
Doch heute ist der erste Samstag im Monat, ein regelmäßiger
Termin für Tokyos Kinky People: Die "Department H" startet
kurz vor Mitternacht.
Umgerechnet DM 80,- Eintritt, kein Dresscode, Kameras sind erlaubt.
An der kleinen Bar drängen sich die Leute, um ihre Getränkegutscheine
einzulösen, im 3. Stock gibt es Schließfächer und Umkleideräume,
ein Stand mit Schminktisch lockt ein paar junge Frauen an. In einer
anderen Ecke, abseits von der großen, noch leeren, Bühne,
präsentiert ein Stand mit Fetisch-Klamotten sein Angebot an Lack-,
Lurex-, Stretch- und Gummikleidung. Auffällig sind die hier eher
bunten Farben des Sortiments. Die etwa 200 Gäste sind bunt gemischt.
Dragqueens neben männlichen Schulmädchen, Verkleidungen, die
berühmten Mangafiguren nachempfunden sind, oder einfach nur schräge
Paradiesvögel. Mindestens zwei Drittel der Besucher sind normal
gekleidet. In den Ecken drücken sich ein paar Männer herum,
unten ohne, dafür aber mit Sonnenbrille oder Zorro-Maske. Auch
ein paar andere Europäer sind anwesend, ich bin nicht so auffällig
in meinem schwarzen Leder wie angenommen. Videokameras surren, ein Mann
schlingt Seil um eine lachende Frau. Keine Peitschen und Rohrstöcke,
fast kein schwarzes Leder. Japanische SM-Parties kennen die in Deutschland
übliche Verkleidung nur für Profi-Dominas.
Die Musik ist tanzbar, aber nicht zu laut. Auf der Leinwand über
der Bühne wird ein englischer Spielfilm mit japanischen Untertiteln
gezeigt: die Geschichte eines großen blonden Mädchens, die
ihre Bestimmung im Sumoringen findet. Der Veranstalter, oder besser
die Veranstalterin, eine hochgewachsene Dragqueen, begrüßt
die Gäste.
Zwei weitere Drags kommentieren den Film, ich verstehe nichts. Dann
werden ein paar Frauen auf die Bühne gebeten: ein Wettbewerb im
Armdrücken. Die Verliererinnen bekommen Trostpreise, die Gewinnerin
wird bejubelt. Nach einer kurzen Pause bieten drei leicht bekleidete
Frauen einen Damenringkampf.
Hierauf werden alle möglichen Leute von der Veranstalterin vorgestellt
und können sich auf der Bühne präsentieren. Erst nach
einer ganzen Weile wird mir klar, daß hier für verschiedene
Clubs, Studios und sonstige sexuelle Dienstleistungen Reklame gemacht
wird. Eine Domina zeigt ihre Fesselkünste, ein Callgirl seine oralen
Fähigkeiten.
Ich bin erst fasziniert, dann gelangweilt und würde gerne gehen,
doch dann hätte ich DIE Show verpaßt. Ein erotischer Tanz,
beginnend als Striptease. Eine Sequenz, in der sich die Tänzerin
selbst fesselt. Dann wechselt die Musik erneut und eine Art Ballett
mit Kerzen und Wachs beginnt. Eine träumerische Etude aus langsamen
Bewegungen und roten Tropfen, die über die Haut rinnen. Die Show
ist perfekt, Bewegung, Licht und Musik sind genau aufeinander abgestimmt.
Selten hat mich die Schönheit einer Performance so tief berührt.
Die zweite Strip-Performance ist zwar beeindruckend, hat aber nach dieser
Vorgabe keine Chance mehr.
Um 5 Uhr morgens ist die Party vorbei. Keine SM-Performance, keine Sessions,
nirgendwo wurde jemand gequält, ein paar Leute hatten Seil dabei
und zeigten nebenbei ein paar Fesselungen. Aber das war alles.
Mein Eindruck: "Department H" läßt sich eher mit
einer der in Deutschland typischen Fetisch-Parties vergleichen, eine
SM-Party war es ganz sicher nicht, auch wenn hier von Zeit zu Zeit die
großen Bondage-Mistresses und -Master auftreten.