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Letter from Tokyo 2 – First Time in Tokyo

Von Matthias T. J. Grimme

Nein, das ist so nicht ganz richtig. Der Brief ist aus Hamburg, aber ich werde an dieser Stelle, wie versprochen, ein wenig von meiner Reise zu den Quellen japanischer Bondage berichten.
Zwei Wochen Japan sind eine kurze Zeit, und wenn man dann noch meistens auf einen Dolmetscher angewiesen ist, da die meisten Japaner kaum englisch sprechen, dann ist die Zeit noch knapper. Takashi Takahashi gewährte mir Quartier und vermittelte auch alle Kontakte. Außerdem hatte er sein Fotoatelier zu einem SM-Club umfunktioniert, in dem jetzt regelmäßig Performances gezeigt werden. Hier durfte ich eine Bondage präsentieren und über deutschen SM sprechen. Man sah und hörte höflich zu.
Die meisten Bondage-Performances finden in kleinen Bars und Clubs statt (die räumliche Enge der Clubs liegt wohl in erster Linie an den horrenden Mietpreisen in Tokio). Am bekanntesten sind die Bondage-Bar und die Mistress- und Masters-Bar. Natürlich gibt es auch fast überall Mistresses und Bondage-Modelle, die mit dem Gast gegen Aufpreis in Separees spielen. Wenn man die Anzeigen in einschlägigen Magazinen betrachtet, gibt es recht viele Clubs und natürlich auch Studios mit professionellen Bondage-Mistresses (bei uns wären das die Dominas).
Der Rahmen der normalen Bondage-Performances ist mit acht bis 15 zahlenden Gästen (Eintritt um 200 Mark pro Person, ohne Getränke) recht intim. Von Zeit zu Zeit gibt es auch "Großveranstaltungen", bei denen bis zu 200 Gäste in Straßenkleidung einen ganzen Abend lang die unterschiedlichsten Bondage-Darbietungen zu sehen bekommen. Von Selbst-Bondage über Entfesselungsspiele bis hin zu den üblichen "Master beziehungsweise Mistress-mit-weiblichem-Modell-Performances". Männliche Modelle werden fast nie für öffentliche Auftritte benutzt, da sie, nach Ansicht der meisten Japaner, den traditionellen ästhetischen Anforderungen zu wenig entsprechen - das fängt schon beim Gesichtsausdruck und der Körperhaltung an und endet damit, daß eine traditionelle Performance meist in traditioneller Kleidung (Kimono und Untergewand) beginnt. In der erotischen Kunst Japans sind Frauen einfach die attraktiveren Opfer. Dies ist nachvollziehbar, wenn man das männliche "Opfer" von Mistress Rana mit den weiblichen "Opfern" der anderen Performer vergleicht. Man mag zu diesen Vorstellungen stehen, wie man will, aber auch in unserer von christlicher Ikonographie geprägten Gesellschaft (Jesus am Kreuz, Heilige als Märtyrer) scheint das Leiden eher Frauen als "Tugend" verkauft worden zu sein. Vielleicht müssen Männer neben all den anderen Sachen, die scheinbar nicht in ihr Rollenverständnis passen, schönes Leiden (also kein Jammern in unattraktiver Haltung) erst wieder lernen.
SM ist in Japan vor allem Seil-Bondage. Alles andere (Spiele mit Wachs, Schlaginstrumente, Herr-und-Sklavin etc.) gliedert sich darunter ein. Die Japaner benutzen fast ausschließlich Hanfseile, die so bearbeitet sind, daß sie weich und anschmiegsam genug sind, um den Körper des "Opfers" nicht zu verletzen, gleichzeitig aber unelastisch genug, um nicht nachzugeben, wenn man jemanden an ihnen aufhängt. Neueste Mode sind rot gefärbte Hanfseile, wie ohnehin die Farben Rot und Weiß traditionell japanische Farben sind (Rotes Wachs, rot-weißer Kimono, rotes Seil).
Teilweise ist die japanische SM-Szene auch von diversen Fetischen geprägt (Es gibt "Klistiermeister" und "Dildomeister", und neben dem traditionellen Kimono werden auch die an Matrosenkleider erinnernden Uniformen von Schulmädchen gerne verwandt).
Auffällig fand ich, daß weder schwarze Kleidung noch gar Leder, Lack und Latex bei den Besuchern von SM-Veranstaltungen zu sehen war. Später erfuhr ich, daß nur Dominas diese Fetischkleidung tragen.
Das Verhältnis der "normalen" Leute zu Bondage ist eher gelassen bis interessiert, der Vorwurf der Perversion ist kaum verbreitet. Ohnehin scheinen die Japaner mit sexuellen Vorlieben entspannter umzugehen, als wir es in Europa kennen. Gleichzeitig gibt es aber eine größere Scheu, sexuelles Verhalten in der Öffentlichkeit zu zeigen. Das fängt schon beim Knutschen an und bedeutet auch, daß bei öffentlichen Vorführungen mindestens der Slip anbehalten wird (werden muß).
Die Performer-Szene unterscheidet sich stark von der Szene, die Filme und Fotobücher produziert (hier handelt es sich oft um Akteure, die eigentlich keine SM-Leute sind, die aber gutes Geld mit ihrer Teilnahme verdienen). In den wenigen Gesprächen, die ich mit Meistern wie Osada Sensei, Akechi Denki oder Chiba führte, stellte sich deutlich heraus, daß auch für sie Bondage etwas mit Liebe und Respekt zu tun hat. "Wenn ich jemanden fessele, den ich nicht liebe, dann ist die ganze Performance tot", brachte es Chiba auf den Punkt. Die Modelle verstehen sich, so wie ich es aufgefaßt habe, als Masochistinnen oder Sklavinnen, manche von ihnen lernen auch selber Bondage. Einige Meister geben ihren Schülern, sobald sie zum Master oder zur Mistress herangereift sind, neue Namen, die diese dann stolz innerhalb der Bondage-Szene benutzen.
Wie auch bei uns sind sich viele der bekannteren Meister gegenseitig nicht grün, sicherlich nicht zuletzt aus dem Grunde, weil die meisten von ihrer Seilkunst leben müssen.
So ganz klar ist mir nicht geworden, wie jemand zum Meister wird. Scheinbar spielen dabei eine ganze Reihe von Faktoren eine Rolle, etwa, ob jemand in der breiteren Öffentlichkeit gut ankommt, ob seine Shows gut besucht sind, ob er Schüler hat, ob er in Filmen mitgespielt hat. Nach welchen Qualitätsmaßstäben entschieden wird, wann die Bondage gut ist und wann nur "Kindergarten-Bondage", hat sich mir in der kurzen Zeit auch nicht erschlossen.
Für Ausländer ist es in vielen Clubs problematisch, man ist gerne unter sich. Einlaß erhält man am ehesten, wenn man jemanden kennt, der einen dann mitbringt.
Natürlich gibt es in Japan auch Läden für SM-Equipment und Fetisch-Mode. Gute Läden haben ein ähnlich umfangreiches Angebot, wie wir es aus Deutschland kennen. Auch die normalen Videoläden (die Pornoshops sowieso) halten ein riesiges Angebot an unterschiedlichsten Bondage-Videos bereit (meist japanisch, aber manchmal auch amerikanische Non-Nude-Bondagefilme - europäische sind aufgrund des "Schamhaarverbots" wohl nur unter dem Ladentisch erhältlich).
Ansonsten gibt es in Japan, nicht zuletzt wegen der restriktiveren Gesetze, keine SM-Parties in dem uns bekannten Sinne. Auch eine private, nichtkommerzielle SM-Szene findet man nur in Ansätzen. Man trifft sich eher in Clubs oder privat. Wenigstens gibt es in Japan ein SM-Hotel, in dem man in den unterschiedlich eingerichteten Räumen seinen Vorlieben nachgehen kann - für viel Geld natürlich.
Bondage-Magazine gibt es en masse. Den Schlagzeilen von ihrem Anspruch und Service-Charakter am ähnlichsten ist das Magazin SM-Sniper. Dieses monatlich in 20.000 Exemplaren erscheinende etwa 250 Seiten umfassende Heft (teilweise farbig, in DIN-A5-Format) hat lange Bildstrecken (teilweise von namhaften Künstlern), wenig Kontaktanzeigen, Geschichten, Termine und natürlich jede Menge Reklame für Studios, Läden und Clubs. Die Macher, fünf smarte junge Leute, verstehen sich nicht als SM-Leute, auch wenn sie Standard-Bondage-Techniken beherrschen. "Wir machen das, was die Leute interessiert." Bisher sind über 250 Ausgaben erschienen. Und nicht alles ist teurer als bei uns: SM-Sniper kostet umgerechnet etwa 25 DM.
Japan hat mich schon seit einigen Jahren neugierig gemacht, aber die Neugier ist nur ansatzweise befriedigt. Dennoch habe ich viel gelernt, und so mancher Hamburger hat bereits gesehen, wie das aussieht.

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