|
Letter from Tokyo 19 Das Handy läutet. „Hier Sugiura“, sagt die Stimme. „Angenehm“, sage ich und kriege Gänsehaut. Was kann der Mann von mir wollen? Zwar bin ich noch im Bett, aber plötzlich hellwach. Ob man sich mal treffen könne, will die Stimme wissen. Ja, das ließe sich einrichten. Wann wäre es denn genehm? Jetzt, sofort. Keine fünf Minuten später sitze ich im Taxi. Wenn Sugiura Norio ruft, wird nicht lange gefackelt. Nicht umsonst wird der Mann in Japan als der beste Kinbaku-Fotograf aller Zeiten gehandelt. Diesen Titel hat er sich nicht mit Small Talk errungen. Es ist meine erste Audienz beim Meister. Wo hat er bloß meine Nummer her? Als ich eintreffe, hält er mir mein Aiko-Buch unter die Nase. „Glaubst wohl, dass du ein ganz großer Fessler bist“, sagt Sugiura trocken. Dem Ton nach zu urteilen, will der Mann mich veräppeln. „Schau mal hier“, sagt er und weist auf eines meiner Teppo-Shibari im Fotoband. „Das ist totaler Schrott.“ Hmm. Wenn der Meister das meint, wird es schon seine Richtigkeit haben. „Das hier, das ist Mudanawa (unnötiges Seil).“ Wie dumm. Zwar hat das betreffende Seilstück an der betreffenden Stelle keine besondere Funktion, aber bisher war ich immer der Meinung, das wäre Amattanawa (Restseil). Und man kann ja nicht jedes Mal, wenn die eigentliche Fesselung fertig ist, was wegschnippeln. „Und dann das hier“, geht es mit dem nächsten Foto weiter. „Was soll denn das sein?“, und Sugiura Sensei blickt mich entgeistert an, als ob er Hilfe suche, er die Welt nicht mehr verstünde. Bevor ich mich äußern kann, ist der Meister bereits beim nächsten Bild. Und beim nächsten und beim nächsten. Da bleibt kein Stein auf dem andern. Mein gesamtes Werk wird zerpflückt, bis vom schönen Bildergarten nur noch Unkraut bleibt. „Großer Meister“, will ich einlenken, „es tut mir so leid, das sensible Auge verletzt zu haben.“ Aber Sugiura kommt mir zuvor: „Da tun einem ja die Augen weh! Das ist der größte Schrott, den ich je gesehen habe!“ „Wenn Euer Durchlaucht das meint, erstatte ich gern das Geld zurück“, (immerhin stolze 80 Euro für den Bildband) will ich hauchen. Aber erneut komme ich nicht zu Wort. „Jetzt hör’ mal zu. Jetzt pass mal auf“, sagt der Meister. „Au weia. Jetzt nicht nur Geld zurück, sondern auch Entschädigung“, drängt sich der Gedanke auf. „Wenn du willst, können wir ein Shooting zusammen machen“, fährt Sugiura fort. Und ob ich will! Sugiura Norio ist Jahrgang 1942 und gut und gerne vier Jahrzehnte im Geschäft. „Du hast Talent“, lenkt er ein. „Aber lass dir das nicht zu Kopf steigen“, setzt er nach. „Ein Fesselprofi, der muss mindestens vier Stile drauf haben. Wenn du für mich arbeitest, musst du so fesseln, wie ich es will. “ Eigentlich einleuchtend. Was der Meister damit meint, ist, dass ich da nicht vor mich hin fessle, und er nebenher auf den Auslöser drückt. Er vielmehr genaue Vorstellungen hat, wie die jeweilige Bondage aussehen soll – und ich ihm das liefere. Nur so kann es sein. Sonst wäre es ja ein Osada-Bild und kein Sugiura-Bild. „Du verstehen?“ Sugiura-san reduziert kurz auf Kindersprache. Er ist nämlich in Sachen Kommunikation mit Ausländern vorbelastet. Fünfzehn Jahre lang hatte er einen deutschen Assistenten, dessen Japanisch hoffnungslos war. „Hier iz ze money. By me sheventy lolls off Futschi ASA 100“, hatte Sugiura ihm einmal aufgetragen. Gesagt, getan. „Hier iss mosst of ze monnie beck. Waz cheep“, kehrte der deutsche Assistent mit freudiger Nachricht zurück – nur dass er nicht seventy (70), sondern seventeen (17) Filme gekauft hatte. „Ja, ich verstehen. “ Solchermaßen einig geworden, wird zu den Kleinigkeiten übergegangen. „Ich schlage vor, du bringst eines deiner eigenen Modelle. Du hast doch Modelle, oder?“ „Ja, habe ich.“ „Denke nicht, dass du bei mir reich wirst. Ich zahle tausend Euro und nicht mehr.“ Oh. Das bringt mich etwas in die Bredouille. Da hatte ich schon ganz andere Offerten. Z.B. die vier Shows in Berlin, wo die Gage das 15-fache betrug. Soll ich jetzt handeln? Zwar hab ich bereits drei Stile drauf, will aber endlich die Viere voll machen, damit nun auch ein rechter Profi (zumindest Sugiura Norio zufolge) aus mir wird. „Oishi desu“, (die Summe ist ganz nach meinem Geschmack) ist meine Antwort. Tatsache ist, ich hätte Seiner Durchlaucht es auch umsonst gemacht. Oder liebend gerne einen Tausender drauf gelegt – allein schon der Erfahrung wegen, mit einem der ganz Großen ein ganz großes Ding zu drehen. Wir einigen uns auf einen Termin. Die Location wird eine unter Denkmalsschutz stehende Pfandleihe sein. Das ideale Kinbaku-Ambiente. Team Sugiura Norio setzt sich zusammen aus drei Kameraassistenten, einer Visagistin und einem Popper. Zwei der Assistenten sind Sugiuras Söhne. Der „Popper“ ist ein Großer von Sanwa Shuppan, dem mächtigsten Verlag im SM-Genre, seit SM Sniper (Wailea Publishing) eingestampft wurde. Leider hat er bei diesem Schuss nicht viel zu melden, weil ich niemanden an „meine“ Mädels lasse. Pünktlich um 9 Uhr in der Früh treten wir an. Sugiura trägt eine Art Socke auf dem Kopf. Das ist sein Trademark. Wahrscheinlich ein Überbleibsel aus den langen Jahren der Zusammenarbeit mit Max, dem deutschen Assistenten. Also ähnlich der Zipfelmütze aus Wilhelm Buschs Onkel Fritze (Max und Moritz, fünfter Streich), wo die Maikäfer raus krabbeln. Nur ist es nicht Mai, sondern tiefster Winter und eisig kalt. Was so eine richtig alte japanische Pfandleihe ist, die hat auch einen Kura, eine Art Betonbunker mit einer Art meterdicken Tresortüre – und nirgendwo eine Heizung. Solch ein Kura hält nicht nur Einbrecher fern, sondern auch Feuersbrünsten und Erdbeben stand. Das Shooting steht unter dem Thema: Junge Tochter des steinreichen Pfandleihers wird vom Nachtwächter ihrer Ehre beraubt – nach anfänglichem Widerstand, versteht sich. Model ist die sagenhafte Asagi Ageha, die auf eine Art und Weise schmachten und leiden kann wie keine andere. Da der Bösewicht den Großteil seiner Grausamkeiten mit Seil erledigt, braucht es nicht lange, bis sich die Tochter des Hauses in ihr Schicksal fügt – die Unbeschreiblichkeiten, die ihr angetan, gar genießt. Die erste Szene zeigt die Jungfrau in artigem Schwarz gekleidet, wie sie sich allein im Hause wähnt. In der zweiten Szene wird sie vom Wächter überwältigt und gefesselt. Sugiura sensei ist sichtlich nervös. Bereits meine erste Seillage um den Oberkörper des zierlichen Mädels behagt ihm nicht. „Zu hoch“, brummt er. „Nein, zu tief“, als ich nachrichte. „Jetzt setz hier Bambus ran“, befiehlt er und gibt mir zwei ein Meter lange Stöcke. „Du meine Güte! Was ist denn das? “, schreit er und läuft rot an, als ich das Restseil kunstvoll verziere. „Ich will kein Weicheier-Makrame. Ich will Nutzbondage!“ Ich fessle wie der Wind. Und bei jeder Reklamation ist das Seil schneller ab, als es dran kam. Wahrscheinlich hat Sugiura Sensei einen solchen Speed in seinem Leben noch nicht erlebt. Nach etwa der fünften Szene habe ich ungefähr begriffen wie er es denn gerne haben möchte. Der Meister wird nach und nach relaxter. In einer Pause zeigt er sich gnädig, macht mir den Hof. „Sssutiebu (Steve)“, sagt er, „du bisten Profi.“ Seine Augen leuchten, und man merkt, dass er happy ist. Er bucht mich auch spontan für ein zweites Shooting mit dem selben Model. Aber noch ist der Tag nicht zu Ende. Es geht jetzt in den Kura, den Bunker – den einzigen Raum im Anwesen, der sich für Hängebondages eignet. „Jetzt zeig mal, was du wirklich drauf hast,“ spornt mich der Meister an. Das braucht er mir nicht zweimal zu sagen. Zwei Wochen später schlage ich erneut im Büro des Meisters auf. Er will mit mir über die einzelnen Fotos gehen, mir zeigen, was gut war und was sich hätte besser machen lassen. „Und noch was“, meint der Meister. „Ich habe da ein etwas rundliches Model. Die stecken wir in eine Schuluniform und machen ein Shooting für Rubens-Frau-Fetischisten. Du weißt doch, wie man Dicke fesselt, oder?“ Hmm. Immer noch im tiefsten Winter treten wir wieder in der Pfandleihe an. Die Frau ist tatsächlich rundlich, aber sehr anstellig und ausgesprochen masochistisch. Diesmal darf auch der Popper ran. Er ist es, der ihr Sachen reinsteckt, Klammern setzt, sie sonst wie peinigt. Ein bisserl geht er mir schon auf den Sack. Z.B. wenn ich das Mädel voll auf die Reise schicke, die Seile dermaßen beißen und schmerzen, dass sich das nur aushalten lässt, wenn sie in eine andere Welt reist, in ein „Zimmer“ entflieht, in den „Subspace“ eintaucht. „Geht es dir gut?“, flüstert der Popper hier und da. „Sicherlich tut es dir weh“, kommentiert er da und hier. Er reißt die Frau hin und her. Soll sie nun aus ihrem Subspace herauskommen, um seine Fragen zu beantworten? Soll sie ihm sagen, dass alles OK ist? Oder soll sie im rosaroten Land aller Maso-Frauen verweilen, das Seil und den Schmerz genießen – ohne in die Realität zurückzukehren, ohne erneut von Null die Reise anzutreten? „Was für ein Penner“, denke ich. „Halt das Maul“, will ich sagen. Aber ich verkneife es mir. Ist ja schließlich nicht mein Model. Im Frühling geht es weiter. Alles in allem hat mich Sugiura Norio nun vier Monate im Voraus gebucht. Meine Weicheier-Makrame-Bondage hat er mir ausgetrieben (zumindest bei seinen Schüssen), und bei jedem Shooting lerne ich eine Menge mehr. So ist es eben beim Bondage, man lernt nie aus und immer was dazu. Wer nun die künstlerischen Ergüsse, die absolut bombastischen, die Out-of this-World-Ergebnisse des Gottes aller Götter der Shibari/Kinbaku-Fotografie erleben möchte, der direkte seinen Browser auf die Seite http://www.sugiuranorio.jp/ – und keine andere. Text: Osada Steve Mehr Info und Fotos zum Thema Osada steveund andere japanische Meister und Dominas gibt es unter http://www.fetishjapan.com.
|