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Letter from Tokyo 12 - The Show Must Go On

Von Takashi Takahashi

"Du meine Güte," entfährt es dem entsetzten Besucher aus Deutschland. "Ob das wohl gut geht," scheint er zu denken, als der Meister wie wild auf sein Opfer eindrischt, das an vier 11 Meter langen Seilen hoch von der Decke hängt - nur an den Hand- und Fußgelenken mit Halbschlag gesichert. Unter dem Geprassel der siebenstriemigen Lederpeitsche legt der Sensei jetzt eine dicke Hundeleine um den Brustkorb der nahezu Nackten, und vollführt immer größere Kreisbewegungen, bis droben ein propellerhaftes Rauschen einsetzt, daß die spitzen Schreie der Frau nahezu verschluckt. Auch der Meister brüllt nun wie ein Löwe. Wie ein tapferer Kämpfer mit einem Knie auf dem Boden, die Peitsche in der Rechten, die mächtige Hundeleine in der Linken. Fände das Spiel nicht in der 10. Etage eines Hochhauses statt, die Show würde nun vor den Augen der verblüfften Zuschauer gen Himmel steigen.

Der Meister läßt sein Opfer langsam auskreisen, aber das letzte Wort ist längst nicht gesprochen. "Jetzt kommt die Kerze dran," erkennt der aufmerksame Besucher als der Meister sich mit dem Gasanzünder zu schaffen macht und aus seiner Kiste zwei mit Klebeband zu Sechserpacks gebastelte Kerzengebilde hervorholt. "Daß da mal nichts anbrennt." Den Gedanken kann sich wohl niemand der Anwesenden verkneifen, denn als das heiße Wachs auf den alabasterweißen Leib des Opfers zu regnen beginnt, führen die ekstatischen Zuckungen der genußvoll Gepeinigten oft in gefährliche Nähe der zwölf beißenden Flammen.

Osada sensei und Kazumi kennen sich seit 14 Jahren; seit acht Jahren treten sie gemeinsam auf. "I like rope," sagt Kazumi, die tagsüber als Chemikerin in einem Forschungslabor arbeitet. Osada Sensei ist der Godfather der Szene. Ihm ist es zu verdanken, daß SM-Shows in Tokio heute salonfähig sind, denn bereits seit 1965 gibt er Vorstellungen. Dem kleinen Männlein (155 cm, 48 kg) sieht man seine 75 Jahre an, wenn er wieder einmal nach seiner Brille sucht oder ihm die Perücke verrutscht. Sobald aber die Musik beginnt und seine Finger das Seil berühren, wird er zum wilden Tier. Nicht umsonst wurde er 1998 vom Tokyo Journal zum Flying Ropeman gekürt. Natürlich kommt es schon mal vor, daß er beim Fesseln wie auch Entfesseln am falschen Strang zieht, den richtigen Knoten nicht findet oder die Karabiner verwechselt. Man möge es ihm vergeben bei seinem Alter. Immerhin arbeitet er die meiste Zeit mit insgesamt 66 Metern Seil. Da kann eben so einiges schief gehen.

"Das zweite Mal hat mir seine Show schon besser gefallen," berichtet der Besucher aus Deutschland. "Ob es wohl eine Verbindung gibt zwischen dem vollkommen unsymmetrisch, ja nahezu lachhaft unästhetisch angelegten Seil und der seltsam geformten Tonvase, die es auf der Ginza für 30.000 Mark zu kaufen gibt, aber aussieht als sei sie das Produkt eines Vorschulkindes?"

Manchmal ist wahre Kunst eben nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Warum kostet ein bestimmter Kimono nicht 600 sondern 600 Tausend Mark? Weshalb erklärt der Kultusminister mit schöner Regelmäßigkeit 80- oder 90-jährige Töpfer zum "Lebenden Nationalschatz"? Geschähe der Jahrhunderte alten Kunst des Japanischen Bondage das gleiche Recht wie dem Ikebana (der hohen Kunst des Blumentsteckens) oder dem Sado (Teezeremonie), dann fände auch Osada Sensei die ihm gebührende Anerkennung als ehrwürdiger Meister des Kinbaku (der hohen Kunst im Umgang mit dem Seil zum Zwecke des Lustgewinns zwischen Mündigen).

"Eigentlich fehlt mir der Dialog zwischen dem Dominanten und seiner Partnerin," bemerkt der Besucher aus Deutschland. "Der findet statt, nur auf einer anderen Ebene," entgegnet sein wackerer Führer durch die Tokioter SM-Szene. Osada Sensei und Kazumi sind ein eingespieltes Team. Bei ihnen findet die Kommunikation auf einer Ebene statt, die dem oberflächlichen Betrachter oft verborgen bleibt. Viele der Routinen werden von Kazumi geleitet. Artig und diskret dirigiert sie ihren Meister auf den richtigen Karabiner, verlegt ihren Schwerpunkt genau im richtigen Moment, damit es beim Entknoten der komplizierteren Fesselungen keine Unterbrechungen gibt. Sie allein ist es, die den Meister überhaupt noch versteht - sie ist seine Augen, Ohren, sein Mund zur Außenwelt. Sie ist es, die die Shows arrangiert, Auftritte bucht, die Geldangelegenheiten regelt.

Kazumi führt auf ihrer Homepage (leider nur in japanischer Sprache) seit Jahren das "Tagebuch einer M", das sie mehrmals wöchentlich aktualisiert. Dies hat zu einer treuen Gemeinde von Besuchern geführt, und immer wieder wird sie von jungen Frauen kontaktiert mit der Bitte, Osada Sensei möge sie fachmännisch in die Abgründe der masochistischen Lüste führen. Shiori ist ein solches Mädchen. Bei der Eröffnung des Club Dragon wurde sie von Kazumi dem Meister vorgestellt, woraufhin dieser die 20-jährige Universitätsstudentin ad hoc einem Initiationsritual unterzog, von dem die anwesenden Gäste noch Jahre lang berichten werden.

Mehr Info und Fotos zum Thema Osada und andere japanische Meister und Dominas gibt es unter http://www.fetishjapan.com.


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