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Letter from Tokio 1 – Damals und Heute

Von Takashi Takahashi

Damals . . .

Die "Zeit der Wirren" (1467-1568) gab den Samurai ausreichend Gelegenheit, ihre Schwertkunst zu verfeinern, und bot gleichzeitig den Schauplatz für die grausamsten Auswucherungen des japanischen Folterhandwerks. In dieser Zeit der Unruhen bildeten sich Stilrichtungen der Kampfkunst heraus, die in straff geführten Schulen praktiziert wurden - und dem Normaljapaner sowie dem Ausländer noch bis vor kurzem verborgen blieben. Viele der in Familienbesitz befindlichen und streng gehüteten Geheimnisse esoterischer Kampfkünste, zu denen auch der gesammelte Erfahrungs- und Wissensschatz der Ninja gehört, gelangen erst seit etwa 30 Jahren langsam ans Licht der Öffentlichkeit.

Eine andere Bewandnis hat es mit den Jahrhunderte alten Folterungstechniken, die immer noch im Verborgenen bleiben. Wohl wegen des Mangels an Opfern in Friedenszeiten gibt es hier weniger Zeugnisse und auch keine "Schulen", die sich in gerader Linie zurückverfolgen lassen. Recht brauchbare Belegnisse findet man aus 1742, als das Tokugawa-Regime die Grundlagen des Strafrechts schuf und vier Arten von Folterungen unterschied: das Peitschen, das Auflegen und Aufpressen von Steinen, das Fesseln mit Seil und das stunden- bis tagelange Herabhängenlassen mit Seil.

. . . und heute

Kein Wunder, daß nach schrittweiser Einführung humanerer Verhörtaktiken die hohe Kunst der Seiltechnik bald aus dem Bewußtsein der Bevölkerung verschwand. Erst wieder gegen Ende der Edo-Zeit (1600-1868) tauchen Abbildungen gefolteter Opfer auf, und es bildet sich langsam ein Genre für Bilder, in denen Menschen auf verschiedenste Weisen gefesselt und der Macht ihrer Peiniger ausgesetzt sind. Meist sind es Frauen, die mit einer Mischung aus Schmerz und Lust leidend dargestellt werden.

Waren es früher noch Holzschnitte und Malereien, findet man heute erotische Darstellungen von Gewalt in den japanischen Massenmedien von der Sportzeitung bis hin zu Comics für Schulkinder. Manche solcher Mangas erreichen wöchentliche Auflagen in Millionenhöhe. Fotos mit wehrlos gefesselten jungen Frauen sieht man wohin das Auge blickt - nicht zuletzt zu den Stoßzeiten in den S- und U-Bahnen, wenn die (männlichen) Pendler ihre Zeitungen und Magazine lesen. In Japan ist jedenfalls die Darstellung von Gewalt gegen Frauen und minderjährige Schulmädchen weit mehr akzeptiert als die absolut verbotene Darstellung von Schamhaaren.

Ganz anders also die Haltung der Japaner gegenüber Bondage als im westlichen Kulturkreis. Unterstützend hierfür dürfte u.a. das Fehlen eines christlichen Schuld- und Schamkomplexes sein. Der Japaner braucht keine religiösen Hemmschwellen zu überwinden, wenn er mit seiner Sexualität experimentiert. Monatlich erscheinen rund ein Dutzend Bildmagazine zum Thema SM und Bondage, in denen auf jeweils ca. 200 Farbseiten in der Regel 30 bis 40 Frauen in die demütigsten Stellungen hineingefesselt und erotisch gequält werden. In jüngster Zeit tauchen vermehrt auch Domina-Serien in den Regalen der Buchläden auf. Alles in allem bedeutet der immense Markt, daß sich dem einschlägig Interessierten jährlich ca. 5.000 bildhübsche und blutjunge Frauen offenbaren, die von Experten mit einem hohen Maß an Bondage-Technik in Stricke gelegt werden. Oft sind es die gleichen Mädchen, die auch in den SM-Videos genußvoll leiden. Sind die Bondage-Hefte fast ausnahmslos von höchster Qualität (zumindest was die Foto- und Drucktechnik angeht), so geht in der Videothek um die Ecke so ziemlich alles: angefangen bei der Ein-Mann-Produktion mit Amateurmodellen bis hin zur kostspieligen Kinoproduktion. Entsprechend groß ist auch das Angebot. Aufgrund der Unmengen an Amateurproduktionen, dürften monatlich einige hundert neue SM-Titel erscheinen.

Natürlich hat dieser Milliardenmarkt auch seine eigenen Stars. Dies sind einmal die Frauen, die am schönsten leiden, aber auch die Männer, die in jahrzehntelanger Praxis im Umgang mit dem Seil einen derart hohen Stand der Technik erreicht haben, daß man sie ehrfürchtig "sensei" (Meister) nennt.
Nur eine Handvoll solcher seinsei gibt es, jeder mit seinem eigenen Stil und jeder im Besitz von Techniken, die niemand anders beherrscht. Während einige sensei aufgrund ihres Schaffens in der Videoszene zu Kultfiguren aufgestiegen sind, halten sich andere mehr zurück. So ist die Arbeit von Iida-sensei in tausenden von Filmen zu bewundern, aber man muß sich schon in die Bondage Bar im Tokioter Stadteil Shinjuku begeben, um dem Schaffen des 75jährigen Osada-sensei beizuwohnen - wo er nur einmal wöchentlich eine Live-Show gibt. Auch Chiba-sensei scheut in der Regel das Rampenlicht. Nur zwei Videos und zwei öffentliche Auftritte pro Jahr dürfen seine Fans erwarten.

Die Beherrschung vieler der komplizierteren Fesselungsvarianten erfordert jahrelange Praxis, und diese wiederum setzt das Vorhandensein masochistischer Opfer voraus. So ist es verständlich, daß nur einer Handvoll von Experten der Einstieg in den Profibereich gelungen ist. Der wahre rope artist versteht sich oft als Künstler. "Das Seil bringt die Schönheit der Frau zur Geltung," erklärt Chiba-sensei. "Ihr Körper ist die Leinwand, und das Seil ist mein Malwerkzeug." Das Kunstwerk beginnt bei der Auswahl des für die jeweiligen Zwecke geeignetsten Seils. Die meisten sensei zeigen hier eine Vorliebe für das Hanfseil in der Art des "asa nawa" - dem traditionellen japanischen Folterseil. Eine Ausnahme bildet Osada-sensei, der lieber mit überlangen (20 m und mehr) Baumwollseilen arbeitet. Die Stärke und Beschaffenheit des Seils ist genauso zu beachten wie das Gewicht und die Biegsamkeit des zu fesselnden Körpers. Die Seile selbst bedürfen der Vorbereitung und ständigen Pflege. So werden die Hanfseile vor Gebrauch in Kesseln stundenlang "weichgekocht", anschließend über eine Flamme gezogen und schließlich mit Wachs versiegelt. Solch ein Prozeß benötigt Zeit und Liebe. Chiba-sensei läßt sich bei dieser Arbeit von seiner jungen Bondage-Schülerin helfen, die dreimal wöchentlich eine dreistündige Bahnreise auf sich nimmt, um als angehende Domina vom Meister persönlich in die Geheimnisse der Seilkunst eingewiesen zu werden.

Ein weiter Weg war es also von den grausamen Folterungen des feudalen Japans bis in die Schlafzimmer und Lustgrotten der modernen Metropole Tokio. Immer größer wird die Gemeinde derer, die einen sexuellen Bezug entdecken zwischen Schmerz und Lust, Liebe und Dominanz. Immer mehr Menschen entdecken ihre Neigungen zum Bondage und SM. Vieles hat sich geändert in Japan, aber das Medium Seil steht nach wie vor im Mittelpunkt.


Kleine Sprachfibel

Ninja - Ninja
Sensei -- Meister
Hobaku jutsu --Folterkunst
Nawa sensei - rope master
Nawa - Bondage-Seil
Jo-osama (Domina)
M-jo (Masochistin)

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